Eingetragen am 12.09.2014

Humanitärer Hilfseinsatz für die Kinder aus Gaza

Friedensdorf international, eine Organisation, die sich um die medizinische Versorgung von Kindern aus Krisen- und Kriegsgebieten kümmert sowie die Aktion Sternstunden des Bayerischen Rundfunks haben es gemeinsam geschafft, dass 42 teilweise schwerverletzte Kinder aus Gaza zur medzinischen Betreuung nach Deutschland geflogen werden konnten. Am Flughafen Düsseldorf sowie für einen Transport zweier verletzter Jungen war auch ein Team des BRK Bamberg im Einsatz. Wir möchten Sie gerne an den Geschehnissen teil haben lassen:

Für uns geht es Mittwochmorgen um 10.30 in Bamberg los. Mit einem Krankentransportwagen, in dem zwei liegende Patienten transportiert werden können, machen wir uns zu dritt auf den Weg in Richtung Düsseldorf. Am Rasthof Würzburg treffen wir mit den Teams aus Ansbach und Neustadt/Aisch zusammen. Unser Kontakt zu den Bereitschaften des BRK Ansbach und zum dortigen Kreisbereitschaftsleiter Johannes Stegmann, die sich schon viele Jahre an diesen humanitären Aktionen beteiligen, hat uns diesen Einsatz „verschafft“. Aus Neustadt Aisch ist eine Mannschaft unter der Führung von KBL Martin Kerschbaum dabei. Insgesamt sind wir 23 Helferinnen und Helfer des BRK aus Ober- und Mittelfranken, die heute die Aktion unterstützten. Wir erfahren jetzt auch, dass er für uns von Düsseldorf nach Sachsen geht; zwei Kinder, die beide auch wirklich liegend transportiert werden müssen. Das verheißt nichts Gutes – in der Regel sind diese Kinder dann schwer verletzt.

Einsatzbesprechung
Einsatzbesprechung

Nach ereignisloser Fahrt treffen wir gegen 18 Uhr direkt am Tor zum Flugfeld ein – bereits vor Ort sind Kollegen aus Miltenberg unter der Führung von Martin Kolbe. In den nächsten Minuten kommen immer mehr Rotkreuzfahrzeuge dazu – aus Solingen, Leverkusen, Duisburg, aber auch aus Karlsruhe und Ubstadt. Der Parkplatz füllt sich und wie immer ist es diese eigentümliche Stimmung der überregionalen Einsätze – man kennt sich nicht oder nur zum Teil, aber man kennt sich eben doch, weil uns alle der selbe Gedanke und dieselbe Idee leitet – helfen, ohne Ansehen der Person, sondern nur nach dem Maß der Not.

Die erfahrenen Kreisbereitschaftsleiter aus Ansbach und Solingen, Johannes Stegmann und Stefan Nippes, die diese Einsätze schon seit vielen Jahren leiten, geben eine Einweisung für die Helfer. Die Mitarbeiter vom Friedensdorf sind da und versorgen uns mit Kaffee und Käsebroten. Die Teams bereiten ihre Autos vor und wir warten ab.

Transport aus dem Flugzeug
Transport aus dem Flugzeug

Auf Zuruf von Siggi, dem Verantwortlichen in der Maschine, gehen wir in die Kabine. Hier sind jetzt die Kinder, die nicht gehen können, die jüngsten gerade einmal drei Jahre alt. Ein kleiner Junge weint laut, hat wohl Angst, vergessen zu werden. Im Vorbeigehen streicht ihm ein Helfer über dem Kopf. Wir müssen beim Anblick mancher Kinder tief Luft holen, so stark sind ihre Verletzungen. Am Schlimmsten hat es einen Jungen getroffen, keine zehn Jahre alt: Er ist schwer-mehrfachverletzt (polytraumatisiert), wahrscheinlich durch die Explosion einer Granate oder etwas Ähnlichem. Er liegt in einer Vakuummatratze, einem speziellen Tansportmittel für Schwerverletzte, Arme und Beine mit Fixateuren verschraubt, das Gesicht mit Metallsplitter übersäht. Aber immerhin, er hat es nach Deutschland geschafft – anders, als zwei Kinder, die für den Transport vorgesehen waren und vorher an ihren Verletzungen gestorben sind und anders als über 500 Kindern, die im aktuellen Gazakonflikt getötet wurden. Thaer – so sein Name – wird leben!

Bamberger Helfer beim Transport der Kinder aus dem Flugzeug
Transport der Kinder aus dem Flugzeug

Und dann sind „unsere“ beiden Jungs aus dem Flugzeug heraus. Zwei Brüder, gerade 8 und 13 Jahre alt, die jetzt in unserem Krankenwagen nebeneinander sitzen und uns mit großen Augen anschauen. Vor uns liegen 7 Stunden Fahrt durch die Nacht.

Wir begrüßen die beiden Jungs mit einigen Brocken Arabisch, die wir uns in den vergangenen Tagen noch angelernt haben. Zur Verständigung helfen auch unsere „Ohne Wörter Bücher“ voller Bilder, auf die man deuten kann – wobei die Jungs erst einmal ganz interessiert die kleinen Büchlein durchblättern und sogar über das eine oder andere Bild lachen können. Dann deutet der größere Junge plötzlich immer wieder auf das Piktogramm eines Telefons – „Mammy, Daddy“ ruft er dabei aus. Wir geben ihm eines unserer Handys – und zu unserer Überraschung wird nach dem Wählen der langen Nummer tatsächlich eine Verbindung aufgebaut und am anderen Ende der Leitung meldet sich der Vater der beiden Brüder. Fast 10 Minuten telefoniert die Familie miteinander und die Kinder können ihren Eltern zumindest sagen, dass sie sicher in Deutschland gelandet sind und jetzt ins Krankenhaus kommen. Nach dem Gespräch sind beide sichtlich entspannt.

Fahrt durch die Nacht
Fahrt durch die Nacht

Jetzt, nach dem Kennenlernen, können wir uns endlich an eine körperliche Untersuchung der Jungen wagen. Und schlagartig ist die ganze Grausamkeit des Krieges in unserem Fahrzeug. Beide gehören mit zu den am schwersten verletzten Kindern des Transports, haben erhebliche Verwundungen an den Beinen, hervorgerufen durch eine Explosion. Das rechte Bein des 8-jährigen Junge ist von oben bis unten von tiefen Wunden übersäht – das linke Bein nur noch ein Stumpf, unterhalb des Knies wurde eine Amputation durchgeführt. Die Narbe ist überraschend gut verheilt – wie es um die Seele des Kleinen bestellt ist, können wir nur erahnen. Stumm und mit großen Augen lässt er die Untersuchung zu; wir sind so behutsam wie möglich.

Sein 13-jähriger Bruder hat beide Beine gebrochen. Der rechte Unterschenkel ist mit einem großen Fixateur vom Knie bis zum Sprunggelenk verschraubt. Im linken Oberschenkel muss bis vor kurzem ebenfalls ein Fixateur gesessen haben – unter dem zerfleddertem Verband sieht man lange offene Stellen, die darauf hindeuten. Ganz vorsichtig entfernen wir die alten Binden, desinfizieren die Wunden und legen einen neuen Verband an. Der Junge bleibt tapfer, obwohl ihm seine Verletzungen Schmerzen bereiten. Noch mehrmals in der Nacht müssen wir uns um seine Wunden kümmern.

Um 21.00 Uhr verlassen wir den Bereich vor dem Flughafen und machen uns auf die 550km lange Fahrt zum sächsischen Zielkrankenhaus. Die Jungs halten gut durch, man merkt aber, dass sie bereits eine lange Reise hinter sich haben. Am Montag wurden sie in Krankenwagen aus dem Gazastreifen über Land nach Kairo gebracht, wo sie bis Mittwoch in einem Krankenhaus untergebracht wurden. Mittwochmittag ging dann der Transport zum Flughafen, wo die Maschine um 16 Uhr startete. Jetzt noch die siebenstündige Fahrt quer durch Deutschland. Wir kümmern uns so gut wie wir können – es gibt etwas zu essen und zu trinken und wir versuchen durch die Sprachbarriere hindurch Trost zu spenden. Der 8-jährige Junge schläft schnell ein, sein großer Bruder kommt nur schlecht zur Ruhe, da die Beinverletzungen das Liegen schwierig machen. Mehrfach in der Nacht halten wir an, wenn er sehr unruhig wird, setzen ihn auf, lagern dann die Beine wieder mit Decken und Kissen und sprechen ihm Mut zu. Er fällt danach zumindest wieder für zwei Stunden in einen unruhigen Schlaf.

Um 4 Uhr morgens erreichen wir unsere Zielklinik. Wir haben uns eine halbe Stunde vorher telefonisch angekündigt, so dass der Oberarzt uns bereits erwartet. Wir übergeben kurz die wenigen Informationen, die wir haben, geben einige Tipps, wie wir uns mit den Kindern verständigt haben – dann heißt es „maʿa s-salamah“ – „Tschüss, macht es gut“ und wir verlassen die Klinik. Das Auto ist schnell wieder in Ordnung gebracht und morgens um 8 Uhr sind wir zurück in Bamberg – nach 22 Stunden im Einsatz.

Das Bamberger Team
Das Bamberger Team

Was bleibt? Inmitten der Berichte über die alltägliche Gewalt im Nahen und Mittleren Osten, inmitten der humanitären Schicksale der vielen hundert Flüchtlinge, die gerade hier bei uns in Bayern ankommen und die nichts haben, inmitten der Hilflosigkeit, die wir angesichts dessen spüren, was in der Welt passiert war dieser Einsatz etwas von Grund auf Gutes, ein Zeichen der Mitmenschlichkeit und der Solidarität mit den Allerschwächsten. Und er führt uns vor Augen, dass wir großes Glück haben, in Sicherheit und Frieden leben zu dürfen mit einem Gesundheits- und Sozialsystem, das uns auffängt. Und er führt uns vor Augen, dass es uns nicht schadet und nur wenig kostet, mit den Schwächsten zu teilen.

Christoph Treubel, BRK Bereitschaft Bamberg 1

Bereitschaftsleiter